Vietoris Leopold
Leopold Vietoris wurde am 4. Juni 1891 in Radkersburg (Steiermark) geboren. Er verstarb am 9. April 2002 in Innsbruck, wenige Tage nach dem Tod seiner Frau Maria Vietoris. Im Herbst 1928 heiratete Vietoris Klara von Riccabona die bei der Geburt der sechsten Tochter einem Kindfieber erlag. Später heiratete er seine Schwägerin Maria von Riccabona, die die Mutterrolle für seine Töchter übernahm und ihm seither eine fürsorgliche Gattin war. Nach dem Tod von L. Vietoris überließ seine Tochter Magdalena Vietoris wertvolle persönliche Gegenstände von L. Vietoris dem HAUS DER MATHEMATIK.
Der genaue Lebenslauf von Leopold Vietoris wird im nachfolgenden Interview beschrieben. Dieses briefliche Interview von Leopold Vietoris mit Gerhard Lindbichler erfolgte am 20. November 1996 (105. Geburtstag von Leopold Vietoris) und wird wortwörtlich (auch mit Schreibfehlern) wiedergegeben:
Interview Leopold Vietoris mit Gerhard Lindbichler [13 KB]
MATHEMATISCHE LEISTUNGEN: *)
Das Gesamtwerk von L. Vietoris umfasst 80 Titel.
Von diesen sind besonders nachfolgende herausragende Titel hervorgehoben:
In der Dissertation "Stetige Mengen“ und in der Habilitationsschrift
"Bereiche zweiter Ordnung" trug er wesentlich zur Entwicklung
der mengentheoretischen Topologie bei. Grundlegende Begriffsbildungen
wie Gerichtete Mengen, Verallgemeinerte Folgen, Filterbasen, Regularität, Hyperraum scheinen zum ersten Mal auf.
Bei seinem Aufenthalt bei Brouwer wurde der Grundstein für seine kombinatorisch-topologischen Arbeiten gelegt. In der Publikation
"Über den höheren Zusammenhang von kompakten Räumen und eine Klasse von zusammenhangstreuen Abbildungen" studierte Vietoris erstmalig eine Invariante,
die Homologie, von Räumen, die nicht notwendig Polyeder waren, und wurde
daher dazu geführt, statt der vorher üblichen Verwendung der Bettizahlen
die volle Homologiegruppe zu betrachten. Weiters untersuchte er das Vehalten dieser Gruppe bei einer abgeschlossenen, surjektiven Abbildung zweier Räume.
Dieses Abbildungstheorem wurde von Eilenberg-Montgomery zum Beweis
von Fixpunktsätzen für mehrdeutige Abbildungen verwendet, die in der Spieltheorie und anderen Zweigen der mathematischen Wirt-schaftstheorie vielfache Anwendungen haben.
Auf die Arbeit "Über die Homologiegruppen der Vereinigung zweier Komplexe"
geht die heute als "Mayer-Vietoris-Sequenz" am weitesten bekannte Schöpfung
von Vietoris zurück (es existieren etwa 1000 Internet-Einträge dazu).
Die hohen Genauigkeitsanforderungen, welche Vietoris an mathematische Betrachtungen stellte, erkennt man an seiner Arbeit über die Charakterisierung
des Sinus durch Funktionalgleichungen.
Seine letzte Veröffentlichung verfasste Vietoris im "jugendlichen" Alter
von 104 Jahren. Richard Askey, weltweit führend auf diesem Gebiet, verwendet sie: "Vietoris’s inequalities and hypergeometric series"
(Math. Appl. 430. Kluwer Dordrecht, 1998).
Mit der Verleihung des Ehrendoktorats für Technische Wissenschaften (Originalurkunde dazu im Besitz des HdMa) wurden die Verdienste von Vietoris
um Anwendungen in der Praxis besonders gewürdigt, die er sich durch seine Arbeiten zur differentialgeo-metrisch fundierten Orientierung des Bergsteigers
im Gelände, zur Festigkeitslehre des alpinen Schis und zur Physik der Blockgletscher erwarb.
*) nach Heinrich Reitberger: Interneteintragung „In Memoriam Leopold Vietoris (4.6.1891-9.4.2002); math1.uibk.ac.at; Innsbruck (2002)
LITERATUR:
R. Liedl and H. Reitberger, Leopold Vietoris- 90 Jahre,
Yearbook: Surveys of m:matics 1982, Bibliographisches Inst., Mannheim, (1982).
Gilbert Helmberg, Video-Gespräch mit Leopold Vietoris
(Niederschrift des am 9. 6. 1994 an der Universität Innsbruck
geführten Videointerviews) in IMN, Nr. 190, Seite 1 bis 11, (ÖMG, Wien 2002)