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Radon Johann

Lebensgeschichte von Johann Radon geschrieben von seiner Tochter Brigitte Bukovics - Mein Vater wurde am 16. Dezember 1887 als einziger Sohn von Anton Radon und dessen zweiter Frau Anna geboren. Zwei Halbschwestern, deren Mutter früher gestorben war, waren schon erwachsen, als mein Vater geboren wurde, so daß er praktisch als Einzelkind aufwuchs. In die Volksschule ging er in seiner Geburtstadt Tetschen an der Elbe, und in den Jahren 1897 -1903 besuchte er das Gymnasium in Leitmeritz.

In den ersten drei Jahren lebte er dort allein, in der Obhut einer"Kostschachtel".
Das ist eine Frau, meist eine Witwe, die einige ihrer Zimmer an Schüler vermietet und sie betreut, um ihr Einkommen zu vergrößern.
Als sein Vater in Pension ging, zogen die Eltern nach Leitmeritz.
Die wichtigsten Gegenstände im Gymnasium waren Latein und Griechisch;
er lernte sie so gründlich, daß er sogar daran dachte, diese Sprachen zu studieren, und zeit seines Lebens las er gern die antiken Schriftsteller in der Originalsprache. Aber auch die anderen Gegenstände wurden nicht vernachlässigt, so hat er z.B.
eine Menge Geschichte und Botanik gelernt.
Das ist mir besonders aufgefallen, wenn wir mit meinem älteren Sohn, der damals noch ein kleines Kind war, wanderten. Er fragte seinen Großvater häufig nach dem Namen von Pflanzen, und Vater kannte sie, im Gegensatz zu mir, auch alle.
Als Kind war ich überhaupt überzeugt, daß Vater alles weiß, obwohl er
nicht zu den Menschen gehört hat, die einfach irgend etwas sagen, wenn sie die richtige Antwort nicht wissen.
Vater war äußerst musikalisch und liebte die Musik sehr. Er lernte Geige spielen
und sang mit einer schönen Baritonstimme; als Junge dachte er sogar daran, Opernsänger zu werden. aber schließlich war die Liebe zur Mathematik
doch am stärksten.
Nachdem er die matura mit Auszeichnung bestanden hatte, wie fast jede Schulstufe, begann er an der Wiener Universität Mathematik zu studieren. Seine Eltern zogen mit ihm nach Wien. Außer Mathematik und Physikvorlesungen hörte er solche, die er für das Lehramt brauchte. Lind zusätzlich auch Musikvorlesungen.
Am 12. Juli 1909 legte Vater die Lehramtsprüfung ab, am 18. Februar 1910
wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert. Ein Stipendium ermöglichte es ihm, das Wintersemester 1910/11 in Göttingen, einem Zentrum mathematischer Forschung, zu verbringen.
Ab 1. April 1911 war er Assistent bei Emanuel Czuber an der Technischen Hochschule in Wien. 1913/14 habilitierte er sich an der Universität Wien.
Während des ersten Weltkrieges war er vom Militärdienst wegen seiner starken Kurzsichtigkeit befreit, war aber durch seine Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule und der Hochschule für Bodenkultur sehr stark belastet.
Tiefe Freundschaft verband ihn mit Roland Weitzenböck, Hermann Rothe
und Wilhelm Gross. Rothe, der ebenso wie mein Vater sehr gern wanderte, organisierte Ausflüge in die Umgebung von Wien.
Zusammen mit anderen jungen Leuten nahmen daran Roland Weitzenböck
mit zwei seiner Verwandten und auch mein Vater teil. Die Verwandten waren
seine Kusine Marie Rigele, eine Hauptschullehrerin, die naturwissenschaftliche Fächer unterrichtete, und ihr jüngerer Bruder Hermann, ein Student der Mathematik und Physik.
Im Sommer 1914 verlobten sich mein Vater und Marie Rigele, und sie heirateten
im August 1916. Am 27. Juni 1917 wurde mein erster Bruder, Wolfgang, geboren, aufgrund der damals herrschenden Hungersnot ein sehr schwaches Kind, das 12 Tage später starb. Der nächste Sohn, Hermann, wurde am 15. Juli 1918 geboren.

Im Jahre 1919 wurde mein Vater außerordentlicher Professor an der Hamburger Universität, die erst im Mai dieses Jahres gegründet worden war.
Meine Eltern konnten keine Wohnung in der Stadt bekommen, und wir lebten
weit draußen in der Umgebung der Stadt. Am 11. Oktober 1919 ging meine Mutter wieder einmal zum Wohnungsamt, da mag ihr Zustand geholfen haben, ihr wurde eine Wohnung in der Esplanade zugesprochen. Am Tag darauf wurde der dritte Sohn, Ludwig, geboren.
Die Arbeit an der Universität war für meinen Vater sehr erfreulich, doch das tägliche Leben war in dieser Nachkriegszeit schwierig. Doch auch in dieser Zeit führten meine Eltern ein geselliges Leben und luden die Kollegen ein. Besonders Wilhelm Blaschke, ebenfalls Osterreicher, der Vater der Fakultät empfohlen hatte, wurde ein guter Freund und blieb es weiterhin.
Im Jahr 1922 zogen meine Eltern von Hamburg nach Greifswald, wo Vater
der Nachfolger von Felix Hausdorff wurde und wo ich am 18. März 1924 geboren wurde. Greifswald war die kleinste preußische Universität, und es gab dort
ein reichhaltiges Gesellschaftsleben. Im Gegensatz zu Hamburg, wo niemand
von dieser neuen Universität Notiz nahm, Geschäftsleute und Reeder die Oberschicht bildeten, war das Leben in Greifswald von den Professoren und Studenten bestimmt.
Es gab keine Straßenbahn, keinen Bus, aber Pferdekutschen.
Solch ein Kutscher kannte die Professoren und ihre Familien, er war daher
eine große Hilfe für einen Neuankömmling, wenn er seine Frau und sich
bei den Kollegen vorstellen wollte. Wenn er eine solche Kutsche mietete,
wurde er zu den richtigen Häusern gebracht, und gleichzeitig erfuhr er
das Wichtigste von der Familie des Professors, bei dem er sich vorstellen wollte.

Meine Eltern liebten zwar die Berge sehr und vermißten sie in Greifswald,
aber sie begannen auch das Meer zu schätzen, an dessen Küste sie die Sommerferien verbrachten, und sie machten auch Ausflüge mit der Yacht,
die der Universität gehörte. Auf solchen Fahrten sang Vater gern österreichische Volkslieder, aber auch Studentenlieder, die von den Studenten bevorzugt wurden, und begleitete sich dabei auf der Laute.
Im Jahr 1925 wurde Vater der Nachfolger von Tietze in Erlangen, wo er bis 1928 blieb. Ich glaube, daß diese drei Jahre zur glücklichsten Zeit im Leben meiner Eltern gehörten. Sie hatten gute Freunde, die besten waren Otto Haupt und seine Frau,
in deren Garten wir Kinder spielen durften. Vater liebte die Hausmusik sehr. Zusammen mit Otto Haupt und einer Dame seiner Bekanntschaft bildeten sie ein Klaviertrio. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals üben gehört zu haben,
aber er konnte vom Blatt spielen. Sein 40. Geburtstag wurde gebührend gefeiert,
ich glaube, bei dieser Gelegenheit gaben meine Eltern das "Fasslrutschen"-Fest
nach diesem Brauch in Klosterneuburg, einem kleinen Ort in der Nähe von Wien,
das sehr erfolgreich gewesen sein muß.
Meine Mutter war als Mönch verkleidet und bot jedem Gast ein Glas Schnaps an,
der dann auf einen Stuhl steigen und über ein Bügelbrett ins Zimmer rutschen mußte. Dort saß Vater mit drei anderen Musikern und spielte "Heurigenrnmusik", eine Art Musik, wie sie in den Wiener Weinschenken gespielt wird.
Von Erlangen aus konnten wir die Sommerferien in Tirol verbringen, und meine Eltern waren sehr glücklich, wieder in den Bergen zu sein, die sie so lange vermißt hatten. Sie liebten das Wandern sehr und konnten es endlich wieder tun.
Bis hier konnte ich nur berichten, was mir erzählt worden ist, meine Erinnerungen
an Erlangen sind nur sehr schwach, aber an die folgende Zeit erinnere ich mich selbst.

Im Herbst 1928 zogen wir nach Breslau, wo mein Vater der Nachfolger Adolf Knesers wurde. Meine Großmutter väterlicherseits, die seit vielen Jahren verwitwet war und immer mit uns gelebt hatte, starb im Jahr 1929.
Alle zwei Jahre, bis 1934, zogen wir in eine andere Wohnung, obwohl jede groß
und schön gewesen ist. Aber bei der ersten war kein Garten, die zweite und dritte wurde vom jeweiligen Hausbesitzer selbst benötigt, in der vierten endlich konnten wir bis 1945 bleiben.
Bis zum Jahr 1938 konnten wir in den Sommerferien nicht verreisen, weil die Schule schon im August begann, als die Universitätsferien erst begannen.
Daher war es schön für uns, daß wir diese Wohnungen mit Garten hatten,
nahe einem großen Park, einem kleinen See mit Badeanstalt und nahe einem künstlichen Hügel, der einzigen Erhebung in dieser ebenen Stadt.
Diese Umgebung ersetzte uns die Sommerfrische. Manchmal waren wir in den Osterferien im Riesengebirge oder im Glatzer Bergland, sehr hübsche Gebirgsketten in Schlesien, wo wir viel wandern konnten.
Nach einem Jahr in Breslau wurde meinem Vater in Leipzig ein Lehrstuhl angeboten, aber er lehnte ab, weil er eine große Aufgabe darin sah, das Mathematische Institut der Breslauer Universität auszubauen.
Bald fanden meine Eltern gute Bekannte und einige wirkliche Freunde.
Es waren einige Professoren aus österreich da, z. B. Leo Santifaller und Dagobert Frey, mit denen sie besondere Kontakte hatte. Aber auch mit den anderen Mathematikern, den Physikern und den Astronomen standen sie in guten Beziehungen. Gelegentlich luden sie zu Abendgesellschaften ein oder waren
zu solchen eingeladen, meist waren aber die Zusammenkünfte zwangloser.
Das Leben eines Professors in damaliger Zeit war ganz anders als heute.
Er hatte mehr Zeit, für sich selbst zu arbeiten, und auch mehr Zeit für die Familie. Am Vormittag war Vater im Institut, hielt die Vorlesungen, prüfte usw.
Er kam zum Mittagessen heim, bei dem wir alle zusammen waren. Er war sehr pünktlich und erwartete das auch von den anderen.
Gewöhnlich kam ich immer zur gleichen Zeit von der Schule heim.
Einmal jedoch ließ ich eine Straßenbahn vorbeifahren und ging mit anderen Mädchen in eine Eisdiele. Selten habe ich meinen Vater ärgerlich gesehen, aber diesmal war er es; er sagte nicht viel, aber ich kam nie mehr zu spät nach Hause.
Nachmittags mußte er entweder nochmals ins Institut zurück, für ein Seminar
oder um Prüfungen abzuhalten, oder er konnte zu Hause bleiben und saß dann
an seinem Schreibtisch und arbeitete. Der Abend gehörte der Familie.
Wir spielten oft zusammen, oder Nachbarn kamen ganz zwanglos nach dem Essen, ohne erst vorher anzurufen. Er war nicht so schweigsam wie es manchmal erschien, besonders jemandem, der ihn nicht so gut kannte. Er war nicht geschwätzig,
aber er freute sich an Gesellschaft und liebte interessante Gespräche.

An Sonntagen machten wir oft Ausflüge; wir fuhren mit einer Kleinbahn nach Norden ins "Katzengebirge", ein hübsches hügeliges Gebiet (seine größte Höhe beträgt 235 m), wirklich lieblich, mit vielen Kirschbäumen entlang den Straßen.
Besonders im Frühling, wenn die Bäume in Blüte standen oder im Sommer,
wenn die Früchte reif waren, liebten wir diese Wege. Ein anderes Ziel, das wir sehr gern hatten, war der "Zobten", mit einer Höhe von mehr als 700 m wirklich ein Berg! Von dort konnte man die Sudeten sehen, es war ein wunderschöner Blick.
Wir wanderten aber auch oft in der näheren Umgebung von Breslau,
Vater suchte immer gern neue Ziele. Der lange Rückweg zur Eisenbahn oder Straßenbahnstation war meist sehr mühsam. Vater erleichterte ihn uns durch gemeinsames Singen von Volks und Studentenliedern.
Das alles änderte sich im Jahr 1934, als mein Bruder Hermann schwer erkrankte.
Ich wußte lange Zeit nicht, daß es so ernst stand, meine Eltern versuchten, ihre Sorge vor meinem Bruder Ludwig und mir zu verbergen. Jahre später erfuhr ich,
daß schon ganz am Anfang dieser Krankheit (Polyserositis) meinen Eltern gesagt wurde, daß Hermann nur noch 6 Wochen leben würde.
Da die Ursache dieser Krankheit unbekannt war, war ihre Heilung ein Problem.
Auch ein halbjähriger Aufehthalt in einem Schweizer Sanatorium half nicht.
Sein Zustand wechselte, manchmal konnte er aufstehen, dann wieder nur liegen.
Er lernte zu Hause und konnte das Abitur machen.
Mathematik interessierte ihn sehr, und er war auch hochbegabt dafür.
Es ist wahrscheinlich, daß er in Vaters Fußstapfen getreten wäre, dem er auch
sehr ähnlich war. Meine beiden Brüder waren sehr musikalisch, Hermann spielte Klavier, Ludwig Geige, sie spielten oft zusammen, auch mit Vater und mit anderen Freunden. Auch die beiden Mathematiker Tautz und Specht kamen oft zu diesen Abenden, Herr Tautz sang, Herr Specht spielte Klavier.
Leider ging es Hermann schlechter, die Ärzte konnten ihm nicht helfen, und er starb im Januar 1939, drei Tage nachdem Vater sehr schwer erkrankt war und sich einer Operation unterziehen mußte. Er konnte gerettet werden, war aber viele Wochen
im Krankenhaus, und das Leid verzögerte seine Heilung.
1935 hätte Vater Wirtingers Nachfolger in Wien werden können, aber obwohl sich meine beiden Eltern als Wiener fühlten und diese Stadt liebten, lehnte er wegen
der beginnenden Krankheit seines Sohnes Hermann, veilleicht auch aus anderen Gründen, ab. 1938 wurde er als Nachfolger Furtwänglers vorgeschlagen, dann aber wurde jemand anderer in Wien ernannt.
Seit 1938 leistete mein Bruder Ludwig seinen Militärdienst, er wurde in Frankreich verwundet und konnte innerhalb eines Jahres geheilt werden. Zu dieser Zeit war er in Breslau und konnte beginnen, an der Technischen Hochschule Maschinenbau
zu studieren. Dies war für die ganze Familie eine schöne Zeit, aber er mußte
an die Front zurück und wurde in Rußland so schwer verwundet, daß er drei Monate später, im Juli 1943, starb.
Im Januar 1945 mußten wir plötzlich die Stadt verlassen, bevor die Belagerung begann, und natürlich mußten wir alles, was wir besaßen, zurücklassen.
Mit großen Schwierigkeiten kamen wir nach Dresden, das damals noch unzerstört war, und eine Woche später nach Wechselburg, einem kleinen Dorf in Sachsen,
wo Verwandte von Frau Feigl lebten. Ihr Mann war der andere Mathematiker
an der Breslauer Universität gewesen. Einige der Mathematiker kamen
in dieses Dorf, Professoren und Studenten.
Die Professoren hielten ohne jedes Buch Vorlesungen für uns Studenten.
Ich war eine von ihnen. nach einem Jahr Arbeitsdienst hatte ich Mathematik
und Physik zu studieren begonnen. Vater setzte seine Vorlesung über Variationsrechnung 11 fort, die er in diesem Semester begonnen halte.

Eine Schwester meiner Mutter lebte in Innsbruck, und meine Eltern wollten dorthin gehen. Mein Vater schrieb einen Brief an Prof. Vietoris in Innsbruck, in dem er anfragte, ob es für ihn möglich wäre. eine Stelle an der Innsbrucker Universität
zu bekommen.
Es ist wie ein Wunder, daß diese Briefe zwischen Innsbruck und Wechselburg
ihr Ziel erreichten, obgleich Süddeutschland fast täglich bombardiert wurde.
Prof. Vietoris, der einzige Mathematiker in Innsbruck, der nicht zum Militär eingezogen war, war froh, daß mein Vater kommen und ihm helfen wollte.
Nach einer langen und schwierigen Reise erreichten wir Innsbruck, und Vater begann gleich mit den Vorlesungen. Nach zwei Wochen war der Krieg vorbei
und die Universitäten wurden geschlossen. Obwohl wir alte sehr froh waren,
daß der Krieg vorbei war, war diese Zeit in Innsbruck hart.
Unsere Lebensumstände hatten sich völlig geändert. Der Verlust meiner geliebten Brüder war für uns alle sehr schwer. Dann hatten wir unsere Heimat verloren
und alles, was wir besessen hatten. Wir mußten in nur einem Zimmer leben, nachdem wir eine große Wohnung mit einem schönen Garten hatten verlassen müssen. Wir hatten nur unser Leben gerettet, und die Zukunft war sehr unsicher. Trotzdem habe ich nie gehört, daß Vater geklagt hätte, weder zu dieser Zeit
noch irgendwann sonst. Nur einmal erwähnte er den Verlust seiner wertvollen Bücherei, die er dringend gebraucht hätte. Obwohl wir immer hungrig waren
und keine guten Schuhe hatten, wanderten wir manchmal in den Bergen.
Die wunderbare Umgebung Innsbrucks und die Hoffnung, die Zukunft könnte
nach allem doch nur wieder besser werden, half uns durch diese Monate.

Im Herbst 1945 hatte die französische Besatzungsmacht die Stelle der Amerikaner übernommen und öffnete in kurzer Zeit Theater und Universität, Vater konnte wieder als Gastprofessor beginnen.
Der Winter war zwar sehr kalt, viele Räume der Universität hatten zerbrochene Fenster und das Glas war durch Papier ersetzt, aber wir waren doch sehr glücklich, daß wir weiter studieren konnten, ohne daneben 8 Stunden für die Kriegsindustrie arbeiten zu müssen.
Im Oktober 1946 wurde Vater zum Professor am Mathematischen Institut
der Wiener Universität ernannt. Meine Eltern konnten in einem Zimmer
bei einer Verwandten wohnen. Bald fand Vater wieder Partner für die Kammermusik, eine Dame lieh ihm eine Violine, und er war sehr glücklich über die Zusammenkünfte. Bei einer dieser Gelegenheiten erfuhr er von einer leeren Wohnung. Nach vielen Bemühungen bekamen meine Eltern sie zugesprochen.
Kurze Zeit später hatte ich meine Studien in Innsbruck beendet und konnte
auch nach Wien kommen. Nach 31/2 Jahren hatten wir endlich wieder eine Wohnung für uns allein.
Trotz der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Jahre erlebten meine Eltern auch wieder Schönes. Besonders glücklich war mein Vater bei seiner Tätigkeit an der Universität. Er hatte eine Reihe begabter Schüler, die die Vorlesungen
mit Begeisterung gehört haben und durch diese zu selbständigen Arbeiten angeregt wurden. Diese Anregungen konnten sie dann auch wieder ihren Studenten weitervermitteln.
Im Studienjahr 1951/52 war mein Vater Dekan, 1954/55 Rektor.
Diese Tätigkeiten brachten neben viel Verwaltungsarbeit auch schöne Erlebnisse gesellschaftlicher und kultureller Art. Viel Befriedigung brachte ihm auch die Arbeit
in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren korrespondierendes Mitglied er seit 1939, ihr wirkliches Mitglied seit 1947 war.
Von 1952 - 1956 war er Sekretär der mathematischen­naturwissenschaftlichen Klasse. Es hat ihn zutiefst gefreut, daß er 1956 zum Sekretär wiedergewählt wurde, obwohl er schon schwer krank war. Über seine beiden Enkelsöhne, die er noch als kleine Kinder erlebt hat. war er sehr glücklich.
Leider starb er schon am 25. Mai 1956, nach fünfmonatiger Krankheit.
Über seine wissenschaftlichen Arbeiten hat Vater in der Familie nie gesprochen,
ich kann nur sein Leben beschreiben. Für den Bericht über seine Jugend haben mir die "Erinnerungen an Johann Radon" sehr geholfen, die Prof. Hlawka
für die "Gesammelten Abhandlungen von Johann Radon", herausgegeben
von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, geschrieben hat.
Über seine Arbeiten wurde an anderen Stellen sehr eingehend referiert:
in dem eben genannten Buch und in zwei Vorträgen, die in den "Internationalen Mathematischen Nachrichten" veröffentlicht worden sind.
Prof. Christian hat anläßlich der Enthüllung der Büste meines Vaters im Arkadenhof der Wiener Universität den Festvortrag gehalten (IMN 146, Dez. 1987),
und Prof. Schmetterer hat beim XII. Österreichischen Mathematikerkongreß
einen Vortrag über Johann Radon gehalten (IMN 153, April 1990).


LEBENSLAUF: (KURZFORM) *)
1887 geboren am 16. 12. 1887 in Tetschen (jetzt Decin) an der Elbe, Sohn des sudetendeutschen Oberbuchhalters der dortigen Sparkasse, Anton Radon
und dessen zweiter, aus Thüringen stammenden Frau Anna, geb. Schmiedeknecht; einziger Sohn dieser Ehe
1893 – 97 Volksschule in Tetschen, wegen guten Schulerfolgs Abschluss
schon nach vier Jahren anstelle der üblichen fünf
1897 – 1905 Humanistisches Gymnasium in Leitmeritz (Litomerice),
Freifach Französisch, sehr guter Schüler. Gute Kenntnisse der antiken Sprachen bewahrte er sich bis ins Alter.
1905 – 1909 Studium der Mathematik an der Universität Wien, Vorlesungen
bei Wilhelm Wirtinger, Franz Mertens, vor allem aber bei Gustav von Escherich,
Hans Hahn, Gustav Kohn und Josip Plemelj, daneben Vorlesungen aus Physik
bei Franz Exner und Friedrich Hasenöhrl, aus Astronomie, Philosophie, Psychologie, Musikwissenschaften und Chemie.
1910 Promotion aus Mathematik unter Gustav von Escherich an der Universität Wien mit einer Arbeit aus der Variationsrechnung; erschienen in Sitzungsber. Kaiserl. Akad. Wiss. Wien, Math. Naturw. Kl. 119 (1910) 1237-1326.
1911 Stipendiat in Göttingen, wo Felix Klein, David Hilbert und Hermann Weyl wirkten. Vorlesungen über Intergralgleichungen bei Hilbert. Göttingen und Paris waren damals die Weltzentren aus Mathematik.
1911-1912 Assistent bei Heinrich Tietze an der Deutschen Techn.ochschule in Brünn.
1912-19 Assistent bei Emanuel Czuber an der technischen Hochschule in Wien.
1914 Habilitation an der Universität Wien mit der Arbeit: "Theorie und Anwendungen der absolut additiven Mengenfunktionen" , erschienen in Sitzungsber. Kaiserl. Akad. Wiss. Wien, Math.-Naturw. Kl.122 (1913) 1295-1436
1916 Heirat mit Marie Rigele
1917 Geburt des Sohnes Wolfgang, der im selben Jahr stirbt
1917 Arbeit: "Über die Bestimmung von Funktionen durch ihre Intergralwerte längs gewisser Mannigfaltigkeiten", erschienen in Ber. Math.- Phys. Sächs. Akad. Wiss. Leipzig 69 (1917) 262-277
1918 Geburt des Sohnes Hermann
1919 Geburt des Sohnes Ludwig
1919 Titualarprofessor an der Universität Wien, Berufung als Extraordinarius
an die neugegründete Universität Hamburg auf Vorschlag von Wilhelm Blaschke.
1922 Ordinarius in Greifswald
1924 Geburt der Tochter Brigitte, später verheiratet mit dem Wiener Mathematiker Erich Bukovics
1925 Nachfolger von Heinrich Tietze an der Universität Erlangen
1928 Nachfolger Adolf Knesers an der Universität Breslau
1935 Ablehnung eines Rufs an die Universität Wien als Nachfolger
von Wilhelm Wirtinger
1939 Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften
1939 Sohn Hermann stirbt nach langjähriger Krankheit
1943 Sohn Ludwig stirbt an den Folgen einer Verwundung in Russland
1945 Flucht aus Breslau und Lehrtätigkeit an der Universität Innsbruck
auf Einladung von Leopold Vietoris
1946 Ordinarius an der Universität Wien
1947 Wirkliches Mitglied der Akademie
1951-52 Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien
1952-56 Sekretär der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Akademie
1954-56 Rektor der Universität Wien
1956 gestorben am 25.5.1956 in Wien.

Persönlich war Radon zurückhaltend und schweigsam.
Er liebte die Musik, war selbst sehr musikalisch, hatte eine Vorliebe
für die Philosophie und war den schönen Seiten des Lebens aufgeschlossen.
Sein Leben ist in eine schwierige Zeit gefallen und viele Schatten haben ihn
und seine Familie getroffen. Vielleicht gaben ihm das hohe wissenschaftliche Ansehen, das er schon als junger Mann erworben und das ihn sein ganzes Leben begleitet hat, aber auch die erfolgreiche akademische Laufbahn Halt.*)

nach Johann Radon von Peter M. Gruber


MATHEMATISCHE LEISTUNGEN: *)
Johann Radon war in erster Linie Geometer und Analytiker. Er hat zu folgenden Gebieten der Mathematik wichtige, zum Teil bahnbrechende Beiträge geleistet:
(i) Variationsrechnung (ii) Konvexgeometrie
(iii) Radontransformation (iv) Mass- und Integrationstheorie
(v) Potentialtheoerie (vi) Differentialgeometrie
(vii) Matrizentheorie Radon hat sich vorwiegend mit Variationsrechnung,
Maß- und Intergrationstheorie sowie Differentialgeometrie beschäftigt,
daneben mit den anderen der genannten Gebiete.

Die Dissertation, die auf der Anregung von Gustav von Escherich schrieb,
führt ihn zur Variationsrechnung. In ihr geht es um sehr allgemeine Extremalprobleme, etwa um die Bestimmung von Funktionen, Kurven oder Flächen, für die eine gewisse Größe möglichst klein oder möglichst groß wird.
Zum Beispiel sucht man unter allen auf einer festen Fläche gelegenen Kurven,
die zwei feste Punkte verbinden, diejenige oder diejenigen von kleinster Länge.
Radons Arbeiten auf diesem Gebiet erstrecken sich über 44 Jahre.
Von allen Lehrern hat, wie er selbst sagt, Escherich,der ihn in die Variationsrechnung einführte, den größten Einfluss auf ihn ausgeübt. Die Maß- und Intergrationstheorie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der letzte Schrei in der Mathematik.
Der Einfluss von Escherich, vielleicht auch Kontakte zu dem ungarischen Analytiker Frederik Riesz und der Einfluss seines früh verstorbenen Freundes Wilhelm Groß, führen Radon zur Maßtheorie. Der junge Assistent, zuerst in Brünn und dann
an der Technischen Hochschule in Wien bei dem auch in Hofkreisen angesehenen Emanuel Czuber, verewigt sich damit in den Annalen der Mathematik und erlangt internationales Ansehen. Die Arbeiten dazu setzen vor 1913 ein, nach 1919 kommt er nicht mehr darauf zurück.
Das dritte große Lebensthema, die Differentialgeometrie, mit der er sich von 1918 bis 1949 beschäftigte, geht wohl auf die Einflüsse seines Lehrers Gustav Kohn
und seines Freundes, des Geometers Wilhelm Blaschke zurück, der ihn auch nach Hamburg an die neugegründete Hanseatische Universität holte.
In der Differentialgeometrie werden geometrische Fragen über Kurven und Flächen oder noch allgemeinere Gebilde mit Hilfsmitteln der Analysis, also der Weiterentwicklung der aus der Schule bekannten Differential- und Integralrechnung, behandelt.
Späten Ruhm gewinnt Radon mit einer in seinem Gesamtwerk isoliert stehenden geometrisch-analytischen Arbeit aus dem Jahr 1917, in der er eine Transformation von Funktionen einführt, die man jetzt Radontransformation nennt.
Eine Anregung dazu stammt aus der von David Hilbert betreuten Göttinger Dissertation des Österreichers Paul Funk. Die Radontransformation gehört zu den Grundlagen der Computertomographie. Ursprünglich hätte wohl niemand gedacht, dass diese bescheidene, kurze Arbeit größte Bedeutung für wichtige Anwendungen haben würde, am wenigsten Radon selbst. Dass er diesen Triumph nicht mehr erlebt hat, gehört zu der tragischen Seite der Wissenschaft.
Radons Ergebnis ist ein Beispiel für das überraschende Phänomen, dass langfristige Anwendungen der Mathematik häufig aus der reinen Mathematik stammen,
weniger aus der angewandten.
Das Verhältnis Radons zur Mathematik drückt Funk 1958 in einem Nachruf so aus:
"Seine doppelte Art von mathematischer Begabung kommt durchaus nicht häufig vor, selbst bei den bedeutendsten Mathematikern nicht.
Einerseits abstraktes Denken, wie es die Schaffung einer umfassenden Theorie verlangt, andererseits eine große, durch geometrische Anschauung unterstützte Anpassungsgabe, die zur Behandlung spezieller Probleme nötig ist.
Er war ein in der ganzen Welt hochangesehener Mathematiker. Wenn es um den Fortschritt in der Mathematik ging, war er kompromißlos und kritisch".
Diesem Urteil Funks sei hinzugefügt, dass Radon einen tiefen Sinn für wesentliche Fragen der Mathematik besaß, aber auch die Kraft, solche Fragen mit Erfolg
zu behandeln. Die verhältnismäßig geringe Anzahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten – je nach Zählung sind es 35 bis 50 – darf nicht zur Annahme von mangelndem Fleiß verleiten, sondern ist Zeichen seiner selbstkritischen Haltung.
Er hat sich an den Wahlspruch von Carl Friedrich Gauß gehalten:
"pauca sed matura".
Die mathematischen Arbeiten Radons sind von zweierlei Art:
neben großen systematischen Arbeiten, in denen die Forschung auf breiter Front vorangetrieben wird und die sofort gebührende Anerkennung fanden, enthält sein Werk auch eine Reihe von Solitären, deren Wert manchmal erst im Laufe der Zeit klar sichtbar wurde. Die Beiträge zu den drei Kerngebieten im Werk Radons,
aber auch zu einigen anderen anfangs genannten Gebiete sind nicht einfach darzustellen. Im folgenden werden daher aus den unter (ii), (iii) und (iv) genannten Gebieten einige ausgewählte Themen besprochen, die sich leichter darstellen lassen:

Radontransformation und Computertomographie:
Das Hauptresultat der Arbeit "Über die Bestimmung von Funktionen durch ihre Integralwerte längs gewisser Mannigfaltigkeiten" aus dem Jahr 1917 kann man
in folgender Weise beschreiben: Es ei f eine Funktion, die jedem Punkt mit den Koordinaten (x,y) eines Bereichs der Ebene einen Wert f(x,y) zuordnet.
Man kenne f zwar nicht, es sei aber für jede gerade der Ebene der Wert
des Integrals der Funktion längs der Geraden bekannt. dann lässt sich daraus f bestimmen.
Dazu ein Beispiel: Betrachtet man einen ebenen Schnitt durch einen Schädel,
so dient die Kenntnis der Dichte des der Gehirnsubstanz bzw. des Knochens
in der Schnittfläche dem Neurologen zur Beurteilung ob ein Tumor vorliegt oder nicht. Um diese noch unbekannte Dichte des Schnittes zu finden, schickt man Röntgenstrahlen längs Geraden in der Schnittfläche durch den Schädel. Die Abschwächung eines solchen Röntgenstrahls hängt von der durchlaufenen Masse ab. Daraus bestimmt man ohne besondere Schwierigkeit den Wert des Integrals
der Dichte längs des Strahls. Der Radonsche Satz liefert nun die gesuchte Dichte.
In der Praxis genügt eine passend gewählte, endliche Anzahl vonRöntgen-
aufnahmen, um die Dichte des Gewebes in der Schnittebene mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen.
Die Geschichte der Computertomographie verlief allerdings zunächst unabhängig
von Radon. Mehr als 40 Jahre nach dem Erscheinen von Radons Arbeit und ohne Kenntnis dieser Arbeit entwickelten der amerikanische Physiker Allen Cormack
und der englische Ingenieur Godfrey Newbold Hounsfield den Computer- tomographen.
Die erste Veröffentlichung stammt aus dem Jahre 1963.
Die Leistung der beiden wurde durch die Verleihung des Nobelpreises
im Jahre 1979 gewürdigt. In seiner Dankesrede sagte Cormack:
" Vierzehn Jahre sollten verstreichen, bis ich Kenntnis davon erhielt,
dass Radon dieses Problem bereits 1917 gelöst hatte".

Mass- und Integrationstheorie:
Das Problem, Inhalt und Oberfläche von Körpern, oder allgemeiner, von Teilmengen des Raumes zu bestimmen, geht auf die Antike zurück und findet sich schon
bei den Babyloniern. In der Renaissancemathematik wurden solche Probleme
wieder aufgeworfen und in der von Isaak Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz ausgeformten Integralrechnung einer systematischen Behandlung unterzogen.
Im 19. Jahrhundert wurde der Inhaltsbegriff durch Augustin-Louis Cauchy
und Bernhard Riemann präzisiert.
Auftretende Probleme führten um die Jahrhundertwende zu dem auf Borel
und Lebesgue zurückgehenden Maß- und Integralbegriff.
Auch das 20. Jahrhundert hat dazu wesentliche Beiträge erbracht.
Emile Borel und Henri Lebesgue haben sich vorwiegend mit dem Maßproblem
auf der Zahlengeraden beschäftigt. In der Arbeit "Theorie und Anwendungen
der absolut additiven Mengenfunktion" aus dem Jahr 1913 hat sich Radon
u. a. mit der Frage der Verallgemeinerung der Lebesgueschen Ideen von der Zahlengeraden, also von der Dimension 1 auf höhere Dimensionen befasst.
Eine Darstellung der Beiträge Radons zur Maß- und Integrationstheorie für Nichtmathematiker ist schwierig. Wir greifen daher nur folgende Frage heraus:
Wie hängen verschiedene Maßbegriffe zusammen?
Der berühmte "Satz von Radon-Nikodym" gibt hier eine befriedigende Antwort.
Diese spezielle Arbeit Radons ist fundamental für die moderne Maßtheorie,
sie greift aber weit darüber hinaus: Entstanden ist sie vor dem Hintergrund
der Arbeiten David Hilberts über lineare Integralgleichungen. Sie hat neben der Maßtheorie nachhaltigst die Funktionalanlysis und die Theorie der Randwertaufgaben für das logarithmische Potential gefördert.

Der Satz von Radon in der kombinatorischen Geometrie:
Radon hat eine Reihe von Beiträgen zur Konvexgeometrie geleistet,
die auch heute noch nachwirken. Von diesen Resultaten hat ein Ergebnis
besonderes Echo hervorgerufen. Es ist in der Arbeit "Mengen konvexer Körper,
die einen gemeinsamen Punkt enthalten", erschienen in den Math. Annalen 83 (1921) 113-115, enthalten.
Das Resultat ist aus der Bemühung heraus entstanden, einen Beweis für einen
von Eduard Helly gefundenen Satz der kombinatorischen Konvexgeometrie
zu finden. Man kann es wie folgt formulieren:
Es seien im Raum endlich viele Punkte gegeben, mindestens aber fünf.
Dann lässt sich diese Menge so in zwei Teile zerlegen, dass bei passender Massenbelegung der Punkte der beiden Teile die Schwerpunkte beider Teile übereinstimmen. Der Beweis ist genial einfach, das Resultat hat weitreichende Folgerungen.


Nachwirkung des Werkes von Radon:
Radons Beiträge zur Mathematik haben die mathematische Literatur
des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt, sein Name wird unvergessen bleiben: Der grundlegende Satz von Radon und dem Polen Otton Martin Nikodym aus der Maß und Integrationstheorie gehört heute zum mathematischen Basiswissen.
Jeder Student der Mathematik auf der ganzen Welt lernt ihn im Zuge seiner Ausbildung kennen. Vielleicht noch stärker ist der anwendungsträchtige Begriff
der Radontransformation in die Literatur eingegangen.
Radon hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass sein sporadisches Resultat
aus dem Jahre 1917, das nicht einmal aus der Hauptlinie seiner wissenschaftlichen Arbeit stammt, ein so breites Echo finden und Grundlage eines der wichtigsten Diagnoseverfahren der modernen Medizin werden würde, aber auch für die Materialwissenschaften, die Geologie und die Astronomie wichtig ist.
Wie die Bedeutung Radons gewachsen ist, zeigt eine Aufstellung der Zahl
der wissenschaftlichen Arbeiten und Bücher, die den Namen Radon im Titel enthalten: 30er Jahre: 2, 40er Jahre: 7, 50er Jahre: 15, 60er Jahre: 82
70er Jahre: 285, 80er Jahre: 460, 90er Jahre: 424
Das 20. Jahrhundert hat in Österreich eine lange Reihe von Mathematikern
von Weltgeltung gebracht, wie Wilhelm Wirtinger, Philipp Furtwängler, Hans Hahn, Karl Menger, Kurt Gödel, Leopold Vietoris, aber auch Emil Artin, Wilhelm Blaschke und Otto Schreier, um einige zu nennen.
Radon ist in dieser Reihe ein Fixpunk, der sowohl die Mathematik als auch ihre Anwendungen beeinflusst hat. Aus guten Gründen hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften die gesammelten Abhandlungen Radons anlässlich
seines 100. Geburtstages im Jahr 1987 herausgegeben.
Die Akademie hat auch eine Radonmedaille geschaffen, die an Mathematiker verliehen wird, die auf Gebieten, die Radons Werk nahe stehen, Bedeutendes geleistet haben.

*) nach Johann Radon von Peter M. Gruber


LITERATUR:
1) Gruber, P.M., Hlawka, E., Nöbauer, W., Schmetterer, L.,
Herausg.: Johann Radon, Gesammelte Abhandlungen I,II, XIII+377, VII+487 pp., Verlag Österr. Akad. Wiss, Wien, Birkhäuser Verlag, Basel 1987
2) Gindikin, S., Michor, P., Herausg.: 75 Years of Radon transform,
Proc.Conf. ESI, Vienna 192, 339pp., Int.Press, Cambridge MA,1994